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1970, im Jahr der Gründung des Nationalparks, war nicht klar, welches Vorzeige-Schutzgebiet sich entwickeln würde

50-jährige Erfolgsgeschichte mit Startproblemen

Was heraus kommt, wenn man die Natur Natur sein lässt, kann man in den Wäldern unter dem Lusen sehen. Da wo vor Jahren noch Gerippe von Börkenkäferfichten das Bild bestimmten, hat der Aufwuchs mittlerweile alles überwuchtert. − F.: Gregor Wolf/NPV

Was heraus kommt, wenn man die Natur Natur sein lässt, kann man in den Wäldern unter dem Lusen sehen. Da wo vor Jahren noch Gerippe von Börkenkäferfichten das Bild bestimmten, hat der Aufwuchs mittlerweile alles überwuchtert. − F.: Gregor Wolf/NPV

05.10.2020

Grafenau. Zuwachs zum 50.? Spät dran, würde man bei uns Menschensagen. Zuwachs zum 50. Geburtstag des Nationalpark? Eine Bestätigung dafür, dass die letzten fünf Jahrzehnte im Bayerisch-Böhmischen Grenzgebirge etwas herangewachsen ist, was weltweit für Anerkennung sorgt. Und weil dem so ist, hat die Staatsregierung in diesem Jahr – quasi zum runden Jubiläum – beschlossen, das Schutzgebiet im Osten der Gemeinde Mauth um weitere 600 Hektar wachsen zu lassen. Und so Deutschlands größten Waldnationalpark zu schaffen. 


Dass der Park im Jahr 2020 so blendend dastehen würde, war bei dessen Gründung 1970 noch in weiter Ferne. Der Weg dahin war steinig, auch nach dem 11. Juni 1969, als der Landtag grünes Licht für dessen Gründung gab.

Betrachtet man das aus heutiger Sicht, so muss man sagen: Alles, was damals beschlossen wurde, war ein fauler Kompromiss. Es gab keine klaren Vorgaben im Sinne des Naturschutzes, keine klar definierten Grenzen, vor allem aber: Die Holznutzung sollte fortgesetzt werden.

Letztlich hat es dann noch weitere 23 Jahre gedauert, bis der Nationalpark 1992 eine klare Zielvorgabe – eine Rechtsverordnung – erhalten hat. In ihr wurden Aufgaben und Ziele definiert und festgeschrieben.

Vielleicht war es ganz gut, dass diese Verordnung so lange auf sich warten ließ. Wäre sie wesentlich früher entstanden, die Festlegungen wären zweifelsfrei nicht so fortschrittlich gewesen. Zwischen 1969 und dem Anfang der 90erJahre hat es sozusagen einen langen Gärprozess gegeben, der sehr fruchtbar war. Heute hat sich die Nationalpark-Idee, die eigentlich in den USA entstanden ist, auch in ganz Deutschland durchgesetzt und ist zu einem Erfolgskonzept des Naturschutzes geworden. Und dem Nationalpark Bayerischer Wald wird dabei eine Vorreiterrolle zugeschrieben.

Am 7. Oktober 1970 waren die ersten Einrichtungen des Nationalparks fertig. Und die wurden damals mit einem großen Staatsakt feierlich eröffnet.

1,3 Millionen Besucher pro Jahr können nicht irren – keine Frage das Motto des Parks, „Natur Natur sein lassen“, zieht. Mehrere personelle Glücksfälle der Anfangszeit waren der Ausgangspunkt. Da ist der Grafenauer Karl Bayer zu nennen. Er stammte aus Unterfranken, hatte Forstwissenschaft studiert und war nach seiner Referendarzeit zunächst Beamter in Diensten der staatlichen Forstverwaltung. Als Landrat von Grafenau und später als Grafenauer Bürgermeister wurde er im letzten Drittel der 60er Jahre zur Speerspitze der regionalen Befürworter des Nationalparks, von dem er sich eine touristische Aufwertung des armen Landstrichs versprach. Er konnte in kurzer Zeit vermitteln, dass die gesamte Region einmütig hinter der Idee stand, im Gebiet zwischen Rachel und Lusen ein Nationalpark entstehen zu lassen.

Aber Bayer war nicht allein. Am 11.März 1969 gab es einen Wechsel im Landwirtschaftsministerium. Hans Eisenmann löste den bisherigen Amtsinhaber Alois Hundhammer ab. Diese Personalentscheidung sollte sich in der Folgezeit als entscheidend für die weitere Entwicklung der Nationalpark frage erweisen. Eisenmann engagierte sich zunächst in der Bayernpartei. Ab 1950 war er Abgeordneter im Bayerischen Landtag, ab 1954 für die CSU. Als Eisenmann das Landwirtschaftsministerium übernahm, war er 46 Jahre alt.

Die Gegner einer Unterschutzstellung hatten sich auf den unterschiedlichsten Themenfeldern in Stellung gebracht. So kamen gewichtige Argumente von der Jagdlobby, aus dem Forstverein und aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Die regionalen Wirtschaftsverbände, wie beispielsweise der Sägewerksverband oder die Vertreter der Gewerkschaften, hatten sich zum Teil gegen das Projekt ausgesprochen. Es ist der Verdienst von Eisenmann, dass er nach einer politischen Lösung suchte, mit der letztlich die Befürworter und Gegner leben konnten. Es ist aber auch sein Verdienst, dass er da, wo es nötig war, seine Vorstellungen durchsetzte.

Vergessen darf man aber auch nicht zwei weitere Politiker: den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der 1997 gegen massive Widerstände die Erweiterung des Parks in den Landkreis Regen durchgesetzt hat. Und Alois Glück, den späteren Landtagspräsidenten, auch als das soziale Gewissen der CSU bezeichnet, der dem Park auch in stürmischen Zeiten stets wohlgesonnen war.

Was dann im Laufe der Jahre folgte, war eine beispiellose Erfolgsgeschichte. Aus dem anfänglichen Nebeneinander von Forstpartei und Naturschützern gingen Letztere als Sieger hervor, sprich Holzeinschlag und Jagd wurden reduziert, der Naturschutzgedanke kam immer mehr in den Vordergrund. Am 1. Januar 1979 war es mit dieser Parallel-Führung dann vorbei: Nationalparkamt und Nationalparkforstamt wurden aufgelöst und zur heute bekannten Nationalparkverwaltung zusammengefügt.

Eine Zäsur in der Geschichte des Parks war sicher der Entschluss Eisenmanns, im Jahr 1983 die gewaltigen Windwürfe in der Kernzone nicht aufzuarbeiten, und hier der Natur ihren Lauf zu lassen. Eine Ausbreitung des Borkenkäfers und ein großflächiges Absterben der Fichtenmonokulturen war die Folge. Was die einen als Beginn eines neuen, widerstandsfähigeren Waldes bejubelten, rief bei vielen anderen Empörung hervor. Die grünen Waldwogen Adalbert Stifters hatten jetzt riesige Löcher. Nicht zuletzt daraus resultierte die Gründung der „Bürgerbewegung zum Schutze des Bayerischen Waldes“, die sich jahrelang ob dieser Vernichtung der heimischen Wälder Leserbriefschlachten mit der Nationalparkverwaltung in den Medien lieferte.

Schließlich bewies die Natur dann doch, dass auch Katastrophen eine Chance sein können. Heute können sogar die größten Kritiker die Augen vor der Tatsache nicht verschließen, dass allerorten ein neuer Wald heranwächst. Eine Erkenntnis, die in Sachen Klimaerwärmung und dem prognostizierten Aus der Fichte in vielen Regionen auch wieder Hoffnung geben mag.

Eine weitere Zäsur war die Erweiterung des Parks in den Landkreis Regen. Am 1. August 1997 wurde der Nationalpark auf Gebiete der Gemeinden Bayerisch Eisenstein, Lindberg und Frauenau aus gedehnt. Mit dem Zuwachs des Areals zwischen Großen Falkenstein und Großem Rachel wurde der Nationalpark nun über 24 000 Hektar groß.

Und dieser neue Teil des Parks macht im Laufe der Jahre dann die gleiche Geschichte durch, wie sie Bewohnern des Altparks im Landkreis Freyung-Grafenau bestens bekannt war. Borkenkäferkalamitäten nach großen Windwürfen zerstörten in den Augen vieler ihren schönen Wald. Doch auch hier heilte die Zeit die Wunden. Mittlerweile ist im Erweiterungsgebiet die Zustimmung zum Park fast so hoch wie im Altteil. Da mögen sicher auch die Tourismusgeschenke des Freistaates ein Übriges getan haben – das Tierfreigelände am Falkenstein samt Infoeinrichtung zählt dazu.

Heutzutage ist Fakt, dass der „Park“, wie ihn die Einheimischen nennen, der regionale Tourismusmagnet schlechthin ist. Zudem werden Arbeitsplätze geschaffen, über 200 Menschen stehen zurzeit in Lohn und Brot.

Ein Nationalpark braucht einen starken Leiter. Und da hatte die Einrichtung immer Glück. Der Richtige war zu seiner Zeit immer vor Ort. Ab 1. Januar 1979 stand Hans Heinrich Vangerow – der Erfinder der Waldjugendspiele, an der Spitze. Im Dezember 1979 folgte Hans Bibelriether. Der unbeirrbare Franke ging stur seinen Weg und scheute keinesfalls die offensive Auseinandersetzung mit den Kritikern.

Sein Nachfolger Karl Friedrich Sinner (†) versuchte ab 1998 durch seine ausgleichende Art den Park trotz der Borkenkäferkalamitäten und den Wirren infolge der Erweiterung weiter in der Bevölkerung zu verankern. Unzählige Male ging er in die Wirtshäuser vor Ort, um dort in aufgeheizter Stimmung mit den Waidlern zu diskutieren.

Der jetzige Parkchef Franz Leibl setzt, wie er sagt, seit 2011 auf zwei Eckpfeiler – Ruhe und Transparenz der Entscheidungen. Zudem sucht er den verstärkten Zusammenschluss mit dem Nationalpark Šumava. Zusammen mit dessen Leiter Pavel Hubený will er so das Naturschutzpotenzial des größten zusammenhängenden Waldgebietes Mitteleuropas noch stärker nutzen. Von Andreas Nigl