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Der Gebietsreform vom 1. Juli 1972 ging in Passau ein Jahrzehnt voller Diskussionen voraus

Der lange Weg zur Eingemeindung

1956 geriet die Stadt Passau wortwörtlich an ihre Grenzen. Richtiges Wachstum war nur über den Weg der Eingemeindung möglich. − Foto: „Abteilung Geoinformation und Vermessung der Stadt Passau

1956 geriet die Stadt Passau wortwörtlich an ihre Grenzen. Richtiges Wachstum war nur über den Weg der Eingemeindung möglich. − Foto: „Abteilung Geoinformation und Vermessung der Stadt Passau

30.06.2022

„Auf einen Streich gleich 20 000 Einwohner mehr“ – so titelte am 1. Juli die PNP, an dem Tag also, an dem die Eingliederung der Gemeinden Grubweg, Hacklberg, Hals, Heining und des Orts Schalding l.d.D. amtlich geworden war. Wer diesen Satz ohne Kontext liest, könnte meinen, dass es alles reibungslos und schlagartig lief. Mitnichten. Der Gebietsreform ging ein Jahrzehnt an zähem Ringen voraus, der Weg war mühsam und steinig. Heute muss man feststellen: Viele Probleme existierten vor allemim Kopf derer, die gegen die Eingemeindung waren.Passau war klein.Nicht die Stadt, auch wenn diese vor 1972 auch nicht gerade groß war, sondern die Gemarkung, die einst das gesamte Stadtgebiet ausmachte. Recht viel mehr als die Altstadt war es im Grunde nicht, ehe 1818 das Mühltal, 1870 St. Nikola, dann Haidenhof (1909), Beiderwies (1923), Oberhaus (1938) und zuletzt 1956 die Ortspitze, die bis dahin zu Grubweg gehört hatte, eingemeindet wurden. Einen reich bebilderten Abriss der Eingemeindungs-Geschichte gibt es derzeit übrigens in einer Ausstellung im Rathaus zu sehen.

    

1956 war die Stadt also an ihre Grenzen gelangt, im Wortsinn. Passau wollte wachsen, doch wohin?

Kein Wunder also, dass es schon lange Sehnsüchte nach weiteren Eingemeindungen gab. Schon 1955 berichtete die PNP, dass in verschiedenen Versammlungen der Gedanke aufgetaucht sei, sich Hacklberg, Grubweg, Hals und Heining einzuverleiben.

Rechtlich war das kaum möglich, jedenfalls nicht ohne Schützenhilfe von oben. Die bayerische Gemeindeordnung hatte 1952 festgelegt, dass das Gebiet einer Gemeinde nur dann geändert werden kann, wenn die Gemeinde selbst einverstanden ist, außer wenn „dringende Gründe des öffentlichen Wohls vorliegen“.

Der Kommentar „Leidenschaftslos drüber reden“ des PNP-Redakteurs Horst Paul Heller war es, der am 2./3. Dezember 1961 eine öffentliche Diskussion ins Rollen brachte. Heller brach darin eine Lanze für eine künftige Eingemeindung der Randgemeinden. „Grubweg, Hacklberg, Heining. Alle drei (...) sind auf die Stadt hin ausgerichtet“, schrieb Heller. „Was sagt wohl ein Heininger, wenn er in Paris gefragt wird, woher er kommt? Er wird sagen aus Passau.“ Dabei kritisierte Heller u.a. die „Fehlplanungen“ in Sachen Siedlungsanlage in den Gemeinden. Solche „passieren eben in einer kleinen Gemeinde, der die Probleme über den Kopf wachsen“.

In den Gemeinden stieß der Kommentar auf keine Gegenliebe. Der Tenor lautete: Wir wollen nicht nach Passau, wir würden nie dafür stimmen, ihr könnt uns nicht zwingen, unsere Eigenständigkeit aufzugeben.

OB Dr. Emil Brichta forcierte das Thema ab 1967 mehr und mehr. Bei der Jahreshauptversammlung der Altstadt-CSU sprach er die Eingemeindung an (siehe PNP vom 24. Juli 1986). Man könne kein vereintes Europa anstreben und zugleich Stadt und Land mit Mauern umringen, meinte er. Devise: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.“ Und wo kein Wille ist, könne zur Not auch von Amts wegen verfügt werden.

Brichtas größter Widersacher in dieser Zeit war der Halser Landrat Fritz Gerstl. Die Zeit für solche Gespräche sei nicht reif. Warum der Landkreis vehement gegen eine Eingemeindung war, erklärte der Gebietsreforms-Befürworter Heller am 1. Juli 1967 in einem Kommentar: „Der Verlust einer wirtschaftlich starken Stadtrandgemeinde würde natürlich dem Landkreis als Gesamtheit finanziell schaden, ganz davon abgesehen, daß da und dort auch die geringere Kopfzahl verringerte Zuweisungen zur Folge hätte.“

In der Folge wurde es ruhiger, das Thema galt in Stadt und Landkreis „seit langem als tabu“, schrieb die PNP am 31. Oktober 1970, „als heißes Eisen, an dem sich kein Kommunalpolitiker die Finger verbrennen möchte“. Nun, hieß es, sei es an der Zeit, dieses Eisen anzufassen.

Die nötige Schützenhilfe von oben war bereits unterwegs: Die Bayerische Regierung bastelte fleißig an der Gebietsreform, die für leistungsstärkere Gemeinden und Landkreise sorgen sollte. Am 15. Dezember 1971 wurde die Neugliederung Bayerns beschlossen, Stichtag war der 1. Juli 1972.

Hacklberg, Hals und auch Schalding hatten sich bis Ende 1971 tatsächlich überreden lassen und stimmten der Eingemeindung freiwillig zu. Heining wehrte sich, Grubweg noch mehr, beide Gemeinde klagten. Vergeblich. Der Senat des Verfassungsgerichtshofs verkündete am 6. Mai 1972, dass die Anordnung wegen übergeordneter Interessen rechtens sei.

Der Weg war frei, Passau bekam das Gesicht, das es noch heute trägt. Die Ängste vor mangelndem Mitspracherecht und Identitätsverlust erwiesen sich als unbegründet. Heute gilt erst recht das, was Horst Paul Heller schon 1961 geschrieben hatte: Ob Hacklberger, Heininger, Halser, Schaldinger oder Grubweger – sie alle sind längst und selbstverständlich Passauer. Johannes Munzinger
  

DIE ERSTEN „RANDLER“ IM STADTRAT

Der lange Weg zur Eingemeindung-2
Vater der Eingemeindung und bis 1984 OB: Dr. Emil Brichta − Foto: Archiv

Mit dem1. Juli 1972 stieg die Einwohnerzahl Passaus schlagartig von knapp 30 000 auf rund 50 000 an. Doch wer befürchtet hatte, dass künftig die „Kern“- Passauer über das Schicksal der „Randler“ entscheiden würde, hatte sich getäuscht. Schon im ersten Stadtrat des nunmehr viel größeren Passaus waren zahlreiche Vertreter der Gemeinden zu finden.

Oberbürgermeister blieb Dr. Emil Brichta, der als Vater der Eingemeindung bezeichnet werden kann. Sein hauptamtlicher Stellvertreter war jedoch ein „Randler“, der letzte Heininger Bürgermeister Hans Hösl. Dritter Bürgermeister war Dr. Otmar Zilk.

Neben Hösl stellte Heining noch die Stadträte Franz Wimmer, Fritz Haydn, Wolfgang Gion (alle CSU), Helmuth Wagner, Dieter Metzler (beide SPD), und Franz Straßer (FWG).

Grubweg vertraten Dr. Karl Fuchs (CSU), Ex-Bürgermeister Hans Wasner und Herbert Volkmer (beide SPD).

Die beiden größten Gemeinden stellten die meisten neuen Räte, doch auch die anderen gingen nicht leer aus: Hacklberger Interessen vertrat in der Kommunalpolitik Ferdinand Kosak (CSU), für die Halser sprach Fritz Abelein (CSU) und mit Hans Öller (SPD) war auch ein Schaldinger vertreten. − jmu