Anzeige

Landkreis Laufen wird trotz massiven Bürger-Protests am 1. Juli 1972 aufgelöst – 18 Gemeinden unter neuer Verwaltung

Über Köpfe und Kommunen hinweg

„Der Landkreis Laufen besteht, Merk geht“: Ganz und gar nicht einverstanden mit den Plänen der Gebietsreform und enttäuscht von dem wortbrüchig gewordenen CSU-Innenminister Bruno Merk sind diese Bürger, die sich in der Turnhalle in Laufen um 1972 zu einer Protestveranstaltung getroffen hatten. Das genaue Datum der Aufnahme ist unbekannt. − Foto: RePro Bernhard Straßer

„Der Landkreis Laufen besteht, Merk geht“: Ganz und gar nicht einverstanden mit den Plänen der Gebietsreform und enttäuscht von dem wortbrüchig gewordenen CSU-Innenminister Bruno Merk sind diese Bürger, die sich in der Turnhalle in Laufen um 1972 zu einer Protestveranstaltung getroffen hatten. Das genaue Datum der Aufnahme ist unbekannt. − Foto: RePro Bernhard Straßer

05.07.2022

Der Kreistag Laufen, allen voran Landrat Hubert Kreuzpointner, wehrte sich bis zuletzt gegen die Auflösung des Landkreises. In einem Schreiben an die Regierung von Oberbayern vom 16. Februar 1971 unterstrich Kreuzpointner seine ablehnende Haltung und verwies dabei auf „die geographischen und kulturellen Bindungen im bayerischen Rupertiwinkel“, die bestehende Infrastruktur mit Schulen, Krankenhäusern und Altenheimen und die damit einhergehende „Lebensfähigkeit des Landkreises“.

Rupertiwinkel. Gewaltige Veränderungen hat die Gebietsreform ab 1972 für die Gemeinden im Rupertiwinkel mit sich gebracht. Gleich 18 Kommunen wechselten vom Landkreis Laufen, der sich vehement aber letztlich erfolglos gegen seine Auflösung gestemmt hatte, in den Landkreis Traunstein. Unter ihnen die Salzachstadt Tittmoning, die der angrenzende Landkreis Altötting nur zu gerne unter seine Fittiche genommen hätte.

Diese stand jedoch wohl nicht zu Unrecht in Zweifel. Einem Statistikbericht zur Laufener Wirtschaftsleistung aus dem Jahr 1965 war laut dem Landkreisbuch Traunstein Folgendes zu entnehmen: „Vom Gesamtleistungswert trafen auf jede Person der Wirtschaftsbevölkerung 3760 DM, gegenüber durchschnittlich 6160 DM im Regierungsbezirk Oberbayern und 5190 DM im Land Bayern.“ Dennoch glaubte seitens der Laufener Bevölkerung oder Lokalpolitik kaum jemand daran, dass ihr Landkreis wirklich aufgelöst werden könnte, nicht zuletzt aufgrund einer Äußerung von CSU-Innenminister Bruno Merk im Jahr 1967. Während der Eröffnungsfeier des neuen Landratsamts versicherte Merk, „dass der Landkreis Laufen mit mehr als 50 000 Einwohnern jedenfalls nicht zu den kleinen Landkreisen gehört, deren Struktur Sorge bereitet.“ Entsprechend groß war der Groll der Laufener Bevölkerung, mit dem sich Merk nach dem endgültigen Entschluss der Landkreis-Auflösung konfrontiert sah.

Auch die Idee eines „Großlandkreises Traunstein“, der sich die Landkreise Laufen und Berchtesgaden hätte einverleiben sollen, wurde schnell vom Tisch gewischt, das Landkreisbuch dazu: „Obwohl die betroffenen Landkreise und auch der Stadtrat der kreisfreien Stadt Bad Reichenhall sich offen gezeigt hatten für eine solche Lösung, stießen sie auf die resolute Ablehnung durch Ministerpräsident Alfons Goppel, nach dessen Ansicht ein, Landkreis dieser Größe die vorgegebenen Dimensionen zu weit überschreiten würde’.“

Vor nun genau 50 Jahren, am1. Juli 1972 war es dann soweit, der Landkreis Laufen wurde nach 110-jährigem Bestehen offiziell aufgelöst. Die gleichnamige ehemalige Kreisstadt und deren Südosten wurde dem künftigen Landkreis Berchtesgadener Land zugeordnet, Tyrlaching dem Landkreis Altötting und das Gebiet um die Seen in Waging und Taching bekanntermaßen dem Landkreis Traunstein. Dieser hatte damit nicht nur angedachte Gebiets- oder Gemeindeabtretungen abgewehrt, sondern viele Gemeinden aus dem Rupertiwinkel hinzugewonnen – 18 an der Zahl: Asten, Freutsmoos, Fridolfing, Kay, Kirchanschöring, Kirchheim, Lampoding, Otting, Palling, Petting, Pietling, Taching am See, Tengling, Tettenhausen, Tittmoning, Törring, Wagingam See und Wonneberg.

Im weiteren Verlauf der 70er Jahre wurden die kommunalverwalterischen Strukturen des Landkreises weiter zusammengestutzt, vier Gemeinden im Nordosten verloren in diesem Zug ihre Selbstständigkeit – trotz des Widerstands seitens Bevölkerung und Lokalpolitik. Den Anfang machte Kirchheim gleich 1972, das wie Asten im Jahr 1976 sowie Kay und Törring im Jahr 1978 in die Verwaltung der Stadt Tittmoning integriert wurde.

Ob all das anders gelaufen wäre, wenn sich 1972 der Landkreis Altötting durchsetzen hätte können? Dieser bekundete offenes Interesse an der Integration Tittmonings, begründet mit „vielfältigen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Beziehungen“ zwischen der Stadt und Burghausen. Die Staatsregierung lehnte jedoch ab, die „Zuordnung der Räume Tittmoning und Waging am See zum Landkreis Traunstein entspricht den sozio-ökonomischen, insbesondere verwaltungsmäßigen Verflechtungen dieser Gebiete mit dem Landkreis (...).“ Ralf Enzensberger

Zwangsehe mit „Happy-End“: Traunstein & der Rupertiwinkel

Über Köpfe und Kommunen hinweg-2
Der damalige Landrat Leonhard Schmucker hielt sich zurück, was Gebietsansprüche in Folge der Reform anging. − Foto: LRA Traunstein

Traunstein. Wenn es darum geht, welcher Landkreis nach der Gebietsreform 1972 hinsichtlich Fläche und Gemeinden am meisten zugelegt hat, ist Traunstein bayernweit sicher vorne dabei. Doch anders als möglicherweise zu vermuten wäre, darum gerissen hat sich der damalige Landrat Leonhard Schmucker (†99) – er wäre in diesem Jahr 100 geworden – samt Kreistag nicht. Aber woran lag das? Auch bei dieser Frage lohnt ein Blick ins Landkreisbuch.

„Die Zurückhaltung war sicherlich einerseits taktisch bedingt angesichts des Ziels, den Bestand des eigenen Kreisgebiets zu sichern. Nicht unwesentlich war aber auch die sachliche Überlegung, welche Auswirkungen die Ausweitung des Kreisgebiets auf die wirtschaftliche und verwaltungstechnische Situation des Landkreises nach sich ziehen würde“, heißt es darin. Diese Bedenken hatten durchaus ihre Berechtigung. Deutlich wird das, wenn die Entwicklung des Landkreises Laufen seit Ende des Zweiten Weltkriegs genauer unter die Lupe genommen wird. Von materiellen Kriegsschäden, Kampfhandlungen oder Bombenangriffen zwar weitestgehend verschont geblieben, wurde die Bevölkerung des Landkreises Laufen dennoch mit den Gräueln des Dritten Reichs und Kriegs konfrontiert: Todesmärsche aus den Konzentrationslagern kreuzten die Wege der Dorfbewohner im Rupertiwinkel, eine Vielzahl junger Soldaten war zu betrauern und in den ersten Tagen nach dem Krieg waren gewaltsame Plünderungen keine Seltenheit.

Durch Kriegsgefangene, Geflüchtete und Vertriebene stieg ab 1945 die Bevölkerungszahl im Laufener Gebiet ähnlich wie im Chiemgau um über 50 Prozent. Lange hielt das jedoch nicht an, was hauptsächlich auf fehlende Arbeitsplätze zurückgeführt wird. Die Realsteuerkraft lag im Jahr 1964 in Laufen pro Kopf bei rund 71 DM, in Traunstein bei über 100 DM, nur etwa 14 Prozent der Wohnungen im Landkreis Laufen waren zu dieser Zeit an ein Kanalisationsnetz angeschlossen, 31 Prozent hatten keinen Zugang zu fließenden Wasser.

Ein Lichtblick war jedoch die Region rund um den Waginger und Tachinger See, wo sich laut dem Landkreisbuch „ein bemerkenswertes Fremdenverkehrs- und Gastgewerbe“ entwickelt hatte. Als „Vater des Fremdenverkehrswunders“ gilt der damalige Bürgermeister Sebastian Schuhbeck (1913-2007): „Er machte den Ort nach Kriegsende für Bahnreisende attraktiv und erschloss das heutige Gelände am Strandcamping mit Kurhaus für den Tourismus“, heißt es auf der Webseite der Tourist-Info.

Beste Voraussetzungen also, um im Landkreis Traunstein „neben der traditionellen Urlaubsregion im Alpenvorland eine zweite Fremdenverkehrslandschaft“ ausgestalten zu können.

Und diese Chance wurde genutzt. Heute zählt die Urlaubsregion weit über eine halbe Millionen Übernachtungen pro Jahr. Sie ist mittlerweile aus dem Landkreis Traunstein nicht mehr wegzudenken und mit ihm fest verwoben – ein „Happy- End“ also in einer Beziehung, die als unliebsame und kaum gewollte Zwangsehe begann. enz

Zahlen und Fakten

Nachdem sämtliche Gemeinden aus dem aufgelösten Landkreis Laufen in den Landkreis Traunstein integriert worden waren, vergrößerte sich dessen Fläche von 1168 auf 1539 Quadratkilometer und die Einwohnerzahl auf 133 800. Das Straßennetz kam nun auf eine Gesamtlänge von 2020 Kilometer, davon 23 Kilometer Autobahn, 168 Kilometer Bundesstraße, 225 Kilometer Staatsstraße, 304 Kilometer Kreisstraße und 1300 Kilometer Gemeindestraße. Von Nord nach Süd erstreckt sich das Gebiet auf 65, von Ost nach West auf 40 Kilometer.

Im Landkreisbuch Traunstein, aus dem auch die genannten Zahlen stammen, wird der neue Kreis folgendermaßen geografisch definiert: „Naturräumlich reicht das Landkreisgebiet seither im Süden von den Chiemgauer Voralpen bis zu den Alzplatten im Norden und vom Inn-Chiemsee-Hügelland im Westen bis zum Salzacher Hügel- und Moorland im Osten.“ enz