Landrat Baptist Kitzlinger, 26. Juni 1972: „Wir haben von vielem Abschied zu nehmen, von einem Landkreis, der einhundertzehn Jahre Bestand hatte, von einer Mannschaft, die in den letzten sechs Jahren unendlich viel geleistet hat, ich möchte sagen von einer Familie.“ So verabschiedete sich der Landrat vom letzten Kreistag des alten Passauer Landkreises.Die „Familie“ war tatsächlich im Begriff sich aufzulösen, nur noch elf der 45 Mitglieder des alten Kreistages, waren auch im neuen vertreten. „In dieser Abschiedsstunde möge es ein Trost für uns sein, dass wir mit klaren und eindeutigen Beschlüssen dazu beitragen konnten, dass es auch weiterhin einen Landkreis gibt, der den Namen Passau trägt“, fuhr er fort. An der Schwelle einer neuen Epoche stand der Landkreis damals – groß waren die Bedenken, ebenso die Hoffnungen. Zum 50. Jubiläum der Gebietsreform wirft die PNP einen Blick zurück auf einen kontroversen Prozess, an dessen Ende der heutige Landkreis Passau als drittgrößter Bayerns steht.Wie die neuen Landkreise auszusehen hatten, darüber herrschten oft sehr unterschiedliche Ansichten, so auch im Passauer Land. Die Landkreise waren aufgefordert, Vorschläge für die Neugliederung dem Staatsministerium des Innern vorzulegen. Der Landkreis Passau schlug vor, den Landkreis Wegscheid und die Gemeinden Kirchberg, Otterskirchen, Hütting, Ruhstorf und Schmidham an den alten Landkreis Passau anzugliedern. Griesbach, Vilshofen, Wegscheid und Wolfstein präferierten eine Teilung in einen Nord- und einen Südlandkreis. Die niederbayerische Regierung wollte den alten Landkreis Passau zugunsten der Stadt Passau sehr weit entkernen und Teile der Landkreise Vilshofen und Griesbach anfügen.
Am Ende setzte sich aber der Entwurf durch, den das Bayerische Staatsministerium des Innern selbst machte. Der Vorschlag wurde zunächst der Anhörung der betroffenen Gemeinden und Landkreise unterzogen. Vom Passauer Kreistag wurde der Vorschlag unterstützt. Landrat Baptist Kitzlinger begründete dies in der PNP vom 30. Juni 1972 so: „Mit dieser Entscheidung wollte der Kreistag zur Bildung eines gut strukturierten Großlandkreises beitragen, in dem Landwirtschaft, Industrie- und Fremdenverkehr gleichermaßen vertreten sind.“
In den Gemeinden kam der Vorschlag des Staatsministeriums nicht überall gut an. Eine Gemeinde schrieb in das Formblatt, das der Beschlussfassung zugrunde gelegt werden sollte: „Ihr macht ja doch, was ihr wollt. Euer Wille geschehe.“ Am Ende votierten denkbar knappe 55 Prozent der befragten Vertretungsorgane für einen Landkreis in seiner heutigen Form. Gleichzeitig stimmten Vertretungsorgane, die rund 70 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, für Alternativen, die Passau als Kreissitz voraussetzten.
Zum Stichtag des 01.07.1972 war es dann soweit: Der neue Landkreis Passau wurde wirksam. Circa. 150 000 Einwohner zählte der XXL-Landkreis zu Beginn, heute sind es 194 000. Mit 1576 Quadratkilometern ist der Passauer Landkreis damit der flächenmäßig drittgrößte Landkreis Bayerns. Er entstand aus:
- dem alten Landkreis Passau mit Ausnahme der Gemeinden Grubweg, Hacklberg, Hals und Heining
- der Gemeinde Pörndorf (zuvor Lkr. Eggenfelden)
- dem Landkreis Griesbach i. R. mit Ausnahme der Gemeinden Bayerbach, Birnbach und Kindlbach
- dem Landkreis Vilshofen mit den Gemeinden Aidenbach, Albersdorf, Aldersbach, Alkofen, Aunkirchen, Beutelsbach,Eging,Garham, Haidenburg, Hofkirchen, Kirchberg mit Ausnahme von Schalding l. d.D., Königbach, Ortenburg, Otterskirchen, Pleinting, Rathsmannsdorf, Vilshofen, Walchsing, Windorf, Wolfachau und Zeitlarn.
- dem Landkreis Wegscheid Klaus Kloiber
Quellen: Historisches Lexikon Bayern; Unser Landkreis Passau, S.22-25, PNP-Ausgaben Juni/Juli 1972
Holpriger Start mit Happy End: Der Geniestreich des Baptist Kitzlinger
Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne. Für den neuen Landkreis Passau verflog der aber recht schnell. Der Grund: das liebe Geld. 55 Millionen DM Schulden hatte der junge Landkreis nach der Abwicklung der Haushalte der früheren Landkreise. Um der Schulden Herr zu werden, musste der Landkreis die Gemeinden mit hohen Kreisumlagen belasten.
Doch wo lag das Problem? Der damalige Landrat Baptist Kitzlinger erkannte, dass es nicht an der Struktur des neuen Landkreises lag, sondern erhebliche Mängel im Finanzausgleich vorlagen. Übermäßige Belastungen der Sozialhilfe, hohe Kosten für die Unterhaltung der Kreisstraßennetze, die Bevölkerungsentwicklung und einiges mehr seien nicht berücksichtigt worden. Gleichzeitig wurden sehr steuer-starke Gemeinden anderen Körperschaften zugewiesen, obwohl noch Verpflichtungen für die alten Körperschaften bestanden. All dies konnte Landrat Kitzlinger dem Bayerischen Finanzministerium belegen und damit einen Sonderansatz für die benachteiligten Körperschaften in den Finanzausgleich einbringen. Mit dem Landkreis Passau ging es seitdem steil bergauf. − klk
Die Gebietsreform in Bayern: Aus 143 Landkreisen werden 71
Früher gab es 143 kleine und manche großen Landkreise in Bayern. Ministerpräsident Alfons Goppel waren das zu viele. Die kommunale Gebietsgliederung stammte noch aus dem19. Jahrhundert. Die Lebensrealität in Bayern hatte sich seit den 1950er Jahren jedoch stark gewandelt: Öffentliche Aufgaben wurden ausgeweitet, was kleine Gemeinden mit wenig Personal und ehrenamtlichen Bürgermeistern überforderte.
Die finanzielle Ausstattung der vielen Landgemeinden war für die Anforderungen zu gering, oft fehlte das Geld für neue Straßen oder die Instandhaltung öffentlicher Gebäude. Den Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte, so waren sich die Befürworter der Reformen einig, waren die 7004 Gemeinden und 143 Landkreise nicht gewachsen.
Goppel brachte in seiner Regierungserklärung 1971 den Zweck der Reform auf den Punkt: „Ziel der Reform ist es, durch den Zusammenschluss von Gemeinden und Landkreisen zu leistungsfähigeren kommunalen Körperschaften zu kommen.“ Durch größere Verwaltungseinheiten, herbeigeführt durch Gemeinde- und Landkreisfusionen sollten die Verwaltungseinheiten wirtschaftlich schlagkräftiger werden. Zu gleichwertigen Lebensbedingungen zwischen Stadt und Land sollte die Gebietsreform beitragen, um der zunehmenden Landflucht entgegenzuwirken. Investitionen in Kindergärten und Schulen, Versorgungssysteme, Sportstätten und Verkehrsinfrastrukturen waren dafür notwendig.
Die Gebietsreform gliederte sich in zwei Abschnitte: Einmal trat 1972 die Gebietsreform zur Neugliederung Bayerns in Landkreise und kreisfreie Städte in Kraft. 23 der ehemals 48 kreisfreien Städte verloren ihre Kreisfreiheit. Die Zahl der Landkreise reduzierte sich gleichzeitig von 143 auf nunmehr 71. Daneben wurde ab 1972 die kommunale Gebietsreform durchgeführt. Manche Gemeinden wurden in andere eingegliedert, andernorts entstanden Verwaltungsgemeinschaften. Bis 1978 dauerte dieser Prozess, am Ende kam es teilweise zu Zwangseingemeindungen. Letztendlich blieben von den 7004 Gemeinden in Bayern noch 2050 übrig. − klk